Visual Language: Ohne Titel/Untitled – Andreas Müller

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Andreas Müller lebt als Künstler in Wien. Von 2005 bis 2013 studierte er an der Universität Wien Kunstgeschichte und von 2008 bis 2012 an der Universität für angewandte Kunst Wien Bildhauerei. Seit 2013 gehört er dem Kuratorenkollektiv
der Fotogalerie Wien an.

Andreas Müller is an artist based in Vienna. From 2005 to 2013, he studied art history at Vienna University and, from 2008 to 2012, sculpture at the University of Applied Arts Vienna. Since 2013 he has been part of the curatorial collective of the Fotogalerie Wien.

Ohne Titel/Untitled

German  | English

In der Frage nach einer eigenständigen künstlerischen Sprache hat Rosalind Krauss ihre Kritik an die Definition von Innovation und Originalität geknüpft. Krauss zeigt, wie in der Moderne immer wieder die selben Bildformen als Teil einer jeweils anderen Avantgarde auftauchen, was durchaus als direkte Folge und Weiterentwicklung des theoretischen Ansatzes von Walter Benjamin zu den Bedingungen des Kunstwerks im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit zu verstehen ist. Wenn bei Benjamin das Auratische des Einzigartigen und des Originals in der Reproduktion künstlerischer Arbeit verlustig geht, so beleuchtet Krauss diesen Prozess über diesen rein technischen Aspekt hinaus. Mit der Verschiebung der Bedeutung von ästhetischer Erfahrung in der Kunst des 19. Jahrhunderts, die den Begriff der Originalität wesentlich an handwerkliches Vermögen in der Ausführung künstlerischer Arbeit bindet, hin zu einer stärkeren Betonung der intelligiblen Erfahrung in der Moderne, geht letztlich auch eine Schwächung der Autorschaft einher. Wenn wir etwa das Readymade beispielhaft für die Kunst der Moderne heranziehen, so ist dieses als Folie für theoretische und philosophische Auseinandersetzungen in ein Gesamtdispositiv eingebettet, das künstlerisches Schaffen ausschließlich in kontextualisierter Form rezipiert, was der Kunst aber zugleich ihre eigentliche Autonomie entzieht. Marcel Duchamp selbst meinte bezeichnender Weise, er würde eigentlich keine Antikunst schaffen, denn diese könne nur durch Gleichgültigkeit gegenüber Objekten und Gegenständen des Alltags entstehen. In der konsequenten Interpretation Duchamp’s ist daher Kunst in erster Linie von unserer Aufmerksamkeit, und daran anschließend von dem Diskurs über Kunst abhängig. Wenn derart jedes Ding und jede Handlung bereits das Potential Kunst zu sein in sich trägt, und diese nur noch durch Aufmerksamkeit aktiviert wird, dann stellt sich notwendigerweise die Frage, wie sich heute noch eine eigenständige künstlerische Sprache entwickeln kann. Es scheint fast, als müßte sich die Kunst der Moderne in einer Wiederholung der soziokulturellen Brüche des 20. Jahrhunderts, und in Anlehnung an eine Philosophie der Nachkriegszeit kontinuierlich selbst dekonstruieren, auflösen, neu finden, um letztlich immer wieder die Sinnfrage zu stellen. Dieser Sinn entspringt jedoch immer mehr logisch-kausalen Zusammenhängen, als dem Sinn der menschlichen Erfahrung, dem subjektiven Sensorium. Originalität wird zum einen definitorisch durch eine fortschreitende Kanonisierung der Kunst in den Wissenschaften als das Neue, als Bruch mit der Tradition skizziert, während die Kunst selbst durch ihren intelligiblen Anteil leichter in diesen vornehmlich akademischen Diskurs integriert werden kann. So wichtig Duchamp rückblickend für die Moderne des 20. Jahrhunderts war, so fatal erweist sich heute die Verquickung seines Kunstbegriffs mit aktuellen neoliberalen Wirtschaftsstrategien. Die Dringlichkeit einer eigenständigen künstlerischen Sprache steht heute in der Kunst nicht unbedingt im Vordergrund, sondern ein dispositives Kunstsystem, das seinen Einflussbereich stetig konsolidiert, in dem alles möglich wird, was möglich ist. Kunst wird damit zur Sache der Aufmerksamkeit, um die geworben wird, die aber auch instrumentalisiert werden kann. Edmund Husserl hat in seinen phänomenologischen Untersuchungen festgestellt, daß wir unsere Aufmerksamkeit zunächst immer auf den Raum als Ganzes lenken, und erst dann auf seinen Ausschnitt. Die Anschaulichkeit des Gegenstands der Betrachtung bleibt dabei ebenso erhalten, wie die Entscheidung einer kontinuierlichen oder diskreten Beobachtung durch das Subjekt. Mit dem Beginn der Moderne ist zwar die künstlerische Arbeit (meist) noch im aktualen Raum anschaulich, nicht aber ihr Diskurs, der sich im Verhältnis überproportional verselbständigt hat. Jene Sprache, die der Kunst eigen ist, die wir im besten Fall umschreiben, aber über die wir nie wirklich sprechen können, hat sich über die vermehrte Festschreibung eines Kanons zusehends externalisiert. Dabei wäre es durchaus möglich über die Grundbedingungen einer künstlerischen Sprache zu sprechen, sowie über ihre Originalität, indem künstlerisches Schaffen von historischen Festschreibungen und Begriffen entkoppelt wird. Wenn im Diskurs der Kunstgeschichte das Denken über Kunst für ein Denken mit Kunst aufgegeben wird, kann letztlich die Dynamik künstlerischer Autorschaft anstelle eines Gesamtdispositivs ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden. So wie etwa Harold Bloom die Entwicklung von AutorInnen in der Literatur beleuchtet, könnten analog dazu auch künstlerische Biografien umrissen werden: Er zeigt, wie künstlerisches Schaffen, und damit auch die jeweilige künstlerische Sprache immer erst durch Vorbilder beeinflußt ist. In einem zweiten Schritt wenden sich AutorInnen bewußt von diesen Vorbildern ab, erzeugen aber dadurch eine passive Abhängigkeit, denn gerade in der Verneinung eines Vorbildes wird sein Einfluß gefestigt und bestätigt. Eine unabhängige Autorschaft und Sprache könne daher nur in einer dritten Bewegung entstehen, indem sich KünstlerInnen ihrer Vorbilder gewahr werden, jedoch nicht mehr auf diese reagieren müssen. Weder Nähe noch Distanz zur Arbeit ihrer VorgängerInnen sind noch relevant, da etwaige formale oder inhaltliche Überschneidungen einem künstlerischen Prozess entsprungen sind, der dem – auch historisierenden – Vergleich entwachsen ist. Originalität als Kriterium einer eigenständigen künstlerischen Sprache wird von Bloom implizit als Endpunkt einer Entwicklung beschrieben, der Kunst und ihren Werkbegriff als in sich geschlossen formuliert. In der Weiterführung seiner Überlegungen ist diese Kunst nie bewußt hermetisch gehalten, ist kein intelligibles Instrument für einen Kanon, der die Kunst selbst überdeckt, denn die Entwicklung hinter einer künstlerischen Sprache kann weder antizipiert noch instrumentalisiert werden, ohne dass die Autonomie dieser Sprache leidet. Originalität bedeutet demnach immer der Autonomie einer künstlerischen Sprache zu folgen, und nicht umgekehrt eine Kunstform, die einer spezialisierten Sprache folgt. Mit der Autonomie der Sprache wiederum ist letzten Endes auch eine Basis für einen dynamischen Prozess gegeben, ein Ursprung (eng./fra.: origin bzw. origine), anhand dessen nicht die Originalität der Kunst, sondern Autorschaft weiter diskutiert werden kann. Der Ursprung meint konkret den Ursprung der Kunst, der zur Originalität in der Kunst in zwei Punkten differiert. Die erste Unterscheidung läßt sich zunächst begrifflich treffen, nämlich in der Beistellung eines Suffix an das Original, das als Ursprung gedacht werden muß, und das nun in der Verkleinerung durch Hinzufügung Originalität meint. Es ist jene Differenz, die sich selbst in der deutschen Sprache noch als Unterschied zwischen dem Ursprung und dem Ursprünglichen, als Urbild und Abbild einer Sprache zeigt. Der Begriff der Originalität weist also im Kanon des Intelligiblen, ebenso wie in der etymologischen Betrachtung tatsächlich auf den Bruch, und in Folge auf die Entstehung des Neuen hin. Originalität bleibt hier allerdings in ihrer begrifflichen Verkleinerung, und damit auch in der sprachlichen Umschreibung einer eigenständigen künstlerischen Sprache immer hinter dem Original zurück. Die zweite Unterscheidung ist eine zeitliche: Das Original oder der Ursprung sind von der Zeit losgelöst, zeitlos, weil sie der Zeitlichkeit im Sinne einer bereits geschriebenen Geschichte oder Chronologie vorangehen. Originalität hingegen verweist immer auf einen vergangenen oder gegenwärtigen Zeitpunkt der Autorschaft in Opposition zu einem Vorher des Ursprungs, ohne je deckungsgleich mit dem Original zu werden. Diese begrifflichen wie zeitlichen Unterscheidungen entspringen dabei beide einem Denken, das auf einer Sprache basiert, die nie mit jener der Kunst ident sein kann, und verweisen in ihrer Begrifflichkeit auf ein zentrales Problem der Transzendentalphilosophie. Dennoch wird über den Faktor der Zeit und der Zeitlichkeit die Autorschaft einer künstlerischen Sprache adressiert, die mit den prozessualen Ansätzen Bloom’s gelesen und gedacht werden kann. Mit Michel Serres ließe sich der Prozess vom Ursprung hin zur Originalität im Ursprung eines Flusses vergleichen, dessen Lauf sich verzweigen kann, und dessen Läufe sich vereinigen, sich unterirdisch fortsetzen, austrocknen, oder gar rückwärts fließen können. Die Entwicklung einer eigenständigen Sprache und Autorschaft ist in diesem Naturbild durch den Verlauf des Flusses gegeben, der jede Abzweigung als Wiederholung, als verkleinertes Original eines Ursprungs zeichnet. Es ist ein Prozess, der auch künstlerische Rückgriffe zuläßt, ohne sich in seiner Autorschaft in historische Abhängigkeiten zu begeben, und nicht zuletzt kann dieser Fluss in einem Blick voraus auch wieder völlig anders aussehen. Autorschaft bedeutet hier auch – in Anlehnung an Serres – die Existenz einer jeglichen zeitgenössischen künstlerischen Sprache als Seitenarm in einem Flussdelta voller Verzweigungen und Verbindungen. Und auch wenn das Delta eines Flusses mehrere Flüsse sind, so heißt dieses immer nur wie der eine Fluss, wie der Ursprung des Deltas, wie der Ursprung des Flusses. Damit bleibt Originalität unter dem Vorzeichen der Autorschaft ein Desiderat der Kunst, das sich durch eine uns eigene Sprache begrifflich umreißen läßt, die wiederum jene der Kunst niemals verdunkeln, sondern erhellen soll.

English

Regarding the question of an independent artistic language, Rosalind Krauss linked her critique to the definition of innovation and originality. Krauss shows how in modernity the same image forms consistently reappear as part of a different avant-garde, which is to be understood as a direct consequence and further development of Walter Benjamin’s theoretical approach to the conditions of the work of art in the age of mechanical reproduction. When with Benjamin, the aura of the unique and the original in the reproduction of artistic work gets lost, Krauss illuminates this process beyond this purely technical aspect. With the shift in the meaning of aesthetic experience in the art of the 19th century, which essentially ties the concept of originality to craftsmanship in the execution of artistic work, towards a stronger emphasis on intelligible experience in modernity, there is ultimately also a weakening of (the) authorship accompanied. Say we use the readymade as an example for modern art, it is embedded as a foil for theoretical and philosophical debates in an overall dispositive that receives artistic creation exclusively in a contextualized form, which at the same time deprives art of its actual autonomy. Marcel Duchamp himself said tellingly that he would actually not create anti-art, because this can only arise through indifference to objects and things of everyday life. In the consistent interpretation of Duchamp, art is therefore primarily dependent on our attention, and subsequently on the discourse about art. If every thing and every action already has the potential to be art in itself, and this is only activated by attention, then the question necessarily arises how an independent artistic language can be still be developed today. It almost seems as if modern art has to deconstruct, dissolve and rediscover itself in a repetition of the socio-cultural breaks of the 20th century, based on a philosophy of the post-war period, in order to ultimately keep asking the question of meaning. However, this sense always arises from logical-causal relationships rather than the sense of human experience, the subjective sensorium. On the one hand, originality by definition is outlined through an ongoing canonization of art in the sciences as the new, as a break with tradition, while art itself can be more easily integrated into this primarily academic discourse due to its intelligible part. As important as Duchamp was in retrospect for modernism in the 20th century, the fusion of his concept of art with current neoliberal economic strategies is proving to be fatal today. The urgency of an independent artistic language does not necessarily have priority in art today, but a dispositive art system that steadily consolidates its sphere of influence, in which everything becomes possible that is possible. Art thus becomes a matter of attention, which is advertised, but which can also be instrumentalized. Edmund Husserl found in his phenomenological investigations that we always first focus our attention on the space as a whole, and only then on its section. The clarity of the object of observation is preserved, as is the decision of a continuous or discrete observation by the subject. With the onset of modernity, the artistic work is (mostly) still clear in the actual space, but not its discourse, which has become disproportionately independent. The language that is peculiar to art, which we paraphrase at best, but which we can never really speak about, has become noticeably externalized through the increased establishment of a canon. But it would be quite possible to talk about the basic conditions of an artistic language, as well as of its originality, by decoupling artistic creation from historical definitions and terms. If, in the discourse of art history, thinking about art is given up in favor of thinking with art, the dynamics of artistic authorship can ultimately be brought to the focus of attention instead of an overall dispositive. Just as Harold Bloom sheds light on the development of authors in literature, artistic biographies could also be outlined analogously: He shows how artistic creation, and thus also the respective artistic language, is always only influenced by role models. In a second step, authors consciously turn away from these models, but thereby create a passive dependency, because it is precisely in the negation of a role model that its influence is consolidated and confirmed. An independent authorship and language can therefore only emerge in a third movement in which artists become aware of their role models, but no longer have to react to them. Neither proximity nor distance to the work of their predecessors are relevant, since any formal or content-related overlaps have arisen from an artistic process that has outgrown the – also historicising – comparison. Originality as a criterion of an independent artistic language is implicitly described by Bloom as the end point of a development that formulates art and its concept of work as self-contained. In the continuation of his considerations, this art is never deliberately kept hermetic, is not an intelligible instrument for a canon that covers art itself, because the development behind an artistic language can neither be anticipated nor instrumentalized without the autonomy of this language suffering. Originality therefore always means following the autonomy of an artistic language, and not the other way around, an art form that follows a specialized language. With the autonomy of language, in the end, there is also a basis for a dynamic process, an origin, on the basis of which not the originality of the art, but authorship can be further discussed. The origin means concretely the origin of (the) art, which differs from the originality in the art in two points. The first distinction can initially be made conceptually, namely by providing a suffix to the original, which must be thought of as the origin, and which now means originality when reduced by adding. It is the difference that even in the German language shows itself as the difference between the origin (ger.: der Ursprung) and the original (ger.: das Ursprüngliche), as a primal and reflecting image of a language. In the canon of the intelligible, as well as in the etymological consideration, the concept of originality actually points to the break, and consequently to the emergence of the new. Originality, however, always lags behind the original in its conceptual reduction, and thus also in the linguistic description of an independent artistic language. The second distinction is a temporal one: the original or the origin is detached from time, timeless, because they precede temporality in the sense of a history or chronology that has already been written. Originality, on the other hand, always refers to a past or present point in time of authorship in opposition to a before of the origin, without ever becoming congruent with the original. These conceptual and temporal distinctions both arise from a way of thinking that is based on a language that can never be identical to that of art, and their terminology refers to a central problem of transcendental philosophy. Nevertheless, the authorship of an artistic language is addressed through the factor of time and temporality, which can be read and thought with the procedural approaches of Bloom. With Michel Serres we could compare the process from origin to originality at the origin of a river, whose course can branch out and whose courses can unite, continue underground, dry up, or even flow backwards. The development of an independent language and authorship is given in this image of nature by the course of the river, which draws every branch as a repetition, as a scaled-down original of an origin. It is a process that also allows artistic recourse without entering into historical dependencies in its authorship, and last but not least, this flow can also look completely different with a look ahead. Authorship here also means – based on Serres – the existence of any contemporary artistic language as a branch in a river delta full of ramifications and connections. And even if the delta of a river consists of several rivers, it is always called like the one river, like the origin of the delta, like the origin of the river. With that, originality under the sign of authorship remains a desideratum of art, which can be conceptually outlined using a language of our own, which in turn should never darken that of art, but illuminate it.

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